"Ein Dreier Pack T-Shirts kostet 45 Cent, inklusive Lieferung von Asien"
Die meisten von uns haben schon eine dunkle Ahnung davon, wie die Produktionsbedingungen in den Entwicklungsländern aussehen, in denen unsere Kleidung hergestellt wird. Aber hast du dich schon mal gefragt, wie die Preise eigentlich zustande kommen? Nach meinem Artikel über
Heidi Klums Kollektion für Lidl hat sich eine Leserin bei mir gemeldet, die die Preisverhandlungen namhafter Unternehmen live mitbekommen hat, denn sie hat dort als Fremdsprachensekretärin gearbeitet. Aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen werden die Namen der Firmen, die sie betreut hat, in diesem Artikel zwar nicht genannt, aber ich kann euch versichern, dass ihr alle diese Firmen kennt.
Hier ist Marias* Geschichte:
"Nach meinem Abschluss als Fremdsprachensekretärin habe ich in der Bekleidungsindustrie gearbeitet. Mein Arbeitgeber-Unternehmen war als Mittelsmann zwischen dem Großkunden in Deutschland und dem Hersteller in Asien tätig. Das heißt, wir haben Kleidung in Asien für andere Unternehmen herstellen lassen. Unsere Kunden waren hauptsächlich große Konzerne, die Billigkleidung in Deutschland verkaufen.
Mein Job dabei war die Preisakquisition. Ich habe eine Anfrage bezüglich eines bestimmten Kleidungsstücks, das produziert werden soll, inklusive aller technischen Daten, erhalten. Diese beinhalteten Angaben zum Material, zum Gewicht des Stoffes, zur Ausrüstung, zu Maßtabellen und natürlich zur Menge. Dazu eine genaue Beschreibung mit Fotos, wie das Kleidungsstück auszusehen hat. All diese Informationen habe ich dann an verschiedene Lieferanten in Asien weitergeleitet, hauptsächlich China und Bangladesch.
Viele der Fabriken dort werden von Deutschen geleitet, auch die einheimischen. Oder es gibt Vermittlungsunternehmen, die die Aufträge an Fabriken weiterleiten, die von Deutschen geleitet werden. Die Preisverhandlungen liefen trotzdem meistens zäh, weil unsere Kunden natürlich den allerbesten Preis für sich rausschlagen wollten. Dabei kommt es denen dann auch nicht auf die Qualität an, sondern lediglich, ob der Preis stimmt.
Zum Verständnis: in den Fabriken, in denen Billigkleidung produziert wird, werden auch hochwertige Marken hergestellt, wie Hugo Boss oder andere. Die Fabriken können also nicht nur billig, sondern auch hochwertiger. Dabei kommt es allerdings auf den Preis an. Je niedriger der Preis, desto minderwertiger war auch das Produkt. Ein Dreier-Pack T-Shirts, in einer Auflage von 350.000 Stück (also rund 1 Million T-Shirts) kostet – wenn es gute Qualität ist – 45 Cent, inklusive Lieferung von Asien nach Deutschland. Eine Skijacke mit hochwertiger Ausrüstung liegt bei 12,00 Euro im Einkauf, Verkauf an den Kunden für 17,00 Euro und Verkauf an die Bevölkerung für 70,00 Euro. Dabei ist auch relevant, in welcher Menge produziert wird: je höher die Anzahl, desto niedriger der Preis. Die Preise musste ich mit dem Großkunden in Deutschland hart diskutieren. Teilweise ging es um 2 Cent.
Wer mit Asien arbeitet, weiß, dass dort die Uhr anders tickt. Es tauchten immer dieselben Probleme auf, hauptsächlich Lieferverzögerungen. Wir hier in Deutschland halten sehr viel von Pünktlichkeit, in Asien sind bestätigte Liefertermine nur Richtwerte. Das sind kulturelle Unterschiede, an die wir Deutschen uns nur schlecht gewöhnen können. Daher sahen wir uns ständig Konventionalstrafen in Millionenhöhe gegenüber, wenn die Lieferung nicht pünktlich kam. In einer Situation ging es um eine Teillieferung, die 5 Tage später ankommen sollte. Die war allerdings noch gar nicht auf dem Weg. Also diskutierten wir mit dem Lieferanten ein paar Möglichkeiten. Eine Sendung via Schiff, die preiswerteste Variante, musste ausgeschlossen werden, da die Kleidung damit nicht rechtzeitig vor Ort gewesen wäre. Also blieb noch die Sendung via Flugzeug. Das war dem Lieferanten aber zu teuer. Eine Sendung mit dem Flugzeug würde umgerechnet 200,00 Euro kosten, beschwerte er sich, das wäre der Lohn eines Nähmädchens der nächsten 5 Jahre. Das hat uns alle schockiert.
Von Zeit zu Zeit wurde unser Unternehmen mit negativer Presse bezüglich der schlechten Bedingungen in den Fabriken konfrontiert. Häufig kamen Beauftragte und besichtigten vor Ort die Unternehmen mit denen wir zusammenarbeiteten. Danach erhielten wir eine „Mängelliste“. Es ging dabei häufig um Kinderarbeit – also die Beschäftigung von Personen unter 16 Jahren. Dies wurde in den Fabriken so gelöst, dass alle unter 16 Jahre zum Zeitpunkt der Besichtigung nicht in der Fabrik erscheinen durften – am nächsten Tag konnten sie natürlich wieder arbeiten gehen.
Aber auch die niedrigen Löhne der ArbeiterInnen sorgte regelmäßig für Probleme. Einmal war es so schlimm, dass mehrere Fabriken in denen wir produzierten, schließen mussten. Das war eine Katastrophe. Nicht nur für uns, sondern auch für die Leute vor Ort. Die NäherInnen werden dort nach Stunden bezahlt und wenn sie nicht arbeiten gehen können, ist das existenzbedrohlich für sie. In den Fabriken, die von Deutschen geleitet wurden, gab es ohnehin schon höhere Löhne als in den anderen Fabriken. Natürlich kann man das nicht mit den hiesigen Verhältnissen vergleichen, das ist ganz unterirdisch, aber man kann da auch nicht einen Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde einführen. Wer dort so ein Gehalt hat, der ist reich.
Ein anders Mal war geschah es, dass ein Beauftragter feststellte, dass dort über 80 Stunden pro Woche gearbeitet wird. Daraufhin bekamen wir eine Auflage, dass jetzt maximal 60 Stunden pro Woche gearbeitet werden dürfte. Auch dies hatte katastrophale Auswirkungen: weniger Stunden = weniger Lohn. Wir sahen uns dann dem Problem gegenüber, dass die ganzen Arbeiter abwanderten und in andere Unternehmen gingen. Die Familienstruktur sieht dort schon ganz anders aus. Dort gilt es, teilweise 12 Familienmitglieder durchzubringen. Viele Paare teilen sich die Schichten sogar auf, damit immer ein Elternteil bei den Kindern sein kann. Daher sehen sie auch zu, dass sie so viele Stunden wie möglich machen können. Bei dem niedrigen Lohn scheint das verständlich. Und wenn ein Elternteil krank ist, wird es vom ältesten Kind vertreten.
Manchmal mussten Kollegen von uns nach Asien, um dort die Produktion zu überwachen oder Probleme auszuloten. Sie wurden grundsätzlich sehr freundlich empfangen, teilweise wurden sogar Bespaßungsprogramme aufgeführt. Ich selbst war nicht dort, aber die Berichte der Kollegen habe ich mir angehört. Sie alle erzählten von alten, teilweise bruchreifen Fabrikgebäuden. Es war extrem dreckig und staubig. Ein Kollege sei nur mit Atemschutzmaske herumgelaufen, erzählte er. Die Büros befinden sich häufig in Containern, daher sind die Mitarbeiter dort weniger von den Missständen betroffen.
Die Billigkleidung wird unter sehr harten Bedingungen produziert. In den billigen Stoffen sind hochgradig Schadstoffe enthalten. Einige Großkunden fordern Tests von Instituten an, die die Schadstoffhöhe in den Stoffen messen. Dazu werden Kleidungsstücke in das Labor geschickt und nach ein paar Wochen erhält man einen Bericht, was da alles drin ist und wie hoch gemessen wurde. Diese Tests lassen die wenigsten Billighändler durchführen. Wenn wir einen Test bekommen haben, mit Ergebnissen, die nicht im Rahmen der Vorgaben des Kunden lagen, dann haben wir diese Ergebnisse einfach gefälscht. Es gab eine Kollegin in unserem Büro, die das sehr gut konnte und man den Unterschied nicht mehr sehen konnte. Das waren bei einem Kunden lediglich minimale Abweichungen, bei anderen Kunden aber schon gravierende Daten.
Was ist also die Lösung aus diesem absurden Teufelskreis? Klar, die Firmen sind die bösen, aber letzten Endes regelt die Nachfrage das Angebot. Wenn alle möglichst billig neu einkaufen möchten, gewinnt eben der, der die Preise beim Lieferanten noch ein klein wenig mehr drücken kann als die Konkurrenz. Die Entscheidungsmacht liegt aber beim Kunden.
Ausschließlich Produktion in Europa unterstützen oder nur noch secondhand? Ist ein Ansatz. Aber meiner Meinung nach muss sich grundlegend an den Strukturen der Textilindustrie etwas ändern. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass nun eben großteils in Asien produziert wird, was aber nicht zwangsläufig schlecht sein muss. Die geschaffenen Arbeitsplätze sollten aber eben fair bezahlt werden. Stark versimpelt beinhaltet ein besseres System: weniger Masse, dafür hochwertigere Produkte und diese besser bezahlt. Entsprechend unangekündigte Kontrollen, die auch die Arbeitssicherheit gewährleisten und für einen fairen Lohn sorgen, bei dem die NäherInnen ein menschenwürdiges Leben führen können. Vorbildliche Beispiele von Fair Fashion Firmen gibt es mittlerweile schon einige.
Wie ging es bei Maria weiter und was ist die Konsequenz aus dieser Erfahrung?
Ich habe 3 Jahre in dem Unternehmen gearbeitet. Seitdem trage ich keine Billigkleidung mehr und in bestimmte Läden gehe ich definitiv nicht mehr einkaufen. Vor fair produzierter Kleidung halte ich im Grunde sehr viel. Dennoch ist sie meist sehr teuer und wenige können sich das leisten – selbst wenn sie wollten. Das ist ein großer Nachteil und die Billighändler profitieren davon. Gerade Familien sind immer noch darauf angewiesen, so günstig wie möglich Kleidung zu kaufen. Ein Erwachsener kann sich bestimmt einmal eine gute Jeans für einen höheren Betrag leisten, einfach weil er diese Hose dann auch die nächsten Jahre tragen kann. Kinder brauchen in der Regel zu jedem Wechsel der Jahreszeiten eine komplett neue Ausstattung. Das geht unheimlich ins Geld. Ich hatte selbst eine Zeit lang sehr wenig Geld übrig. Aber weil ich selbst sehr darauf achte, habe ich bis jetzt immer den Großteil unserer Kleidung auf dem Flohmarkt gekauft."
Danke Maria, für diese Einblicke.
Alles Liebe,
eure Corinna
*Name wurde geändert